Wein Kompetenz - ein Besuch mit Folgen

«Wie finden Sie eigentlich Ihre Weine?», fragen Kunden häufiger.

Sehr gerne gehört: «online Weinhändler sind Sie? Das ist ja super. Die Seite ist fertig, das Lager versendet den Wein und Sie sind immer in Frankreich auf den Weingütern, oder?»

«Wofür steht der weinraum?», fragen Agenturen.

Ja, neidisch bin ich, wenn Kollegen von großen Zeitungen zum Thema interviewt und kernige Sätze von ihnen zitiert werden. Mit Link.

Ich hingegen auf solche an sich banalen Fragen keine Antworten habe, die auf einen Bierdeckel passen. Wie die von Herrn Merz geplanten Steuererklärungen - als er noch nichts zu sagen hatte. Weniger Schulterzucken als die vermutete Reaktion auf eine stimmige Antwort, deren Länge manchen den Hund unter dem Tisch streicheln lassen wird.

Berlin im August

Kinder tanzen unter den Fontänen der Installation eines Brunnens auf dem Platz. Die Schlange vor der Eisdiele ist heute wirklich lang, auch wenn das beste Eis Kreuzbergs immer verdammt beliebt ist.

«Mach nicht immer alles alleine und selbst» lag mir meine Frau schon länger in den Ohren. Eine angesagte Agentur für Online-Marketing. Kreuzberg ist dafür ein natürliches Biotop.

Billardtisch und Foyer sind groß. Firmen lieben es groß.

Selbst aus staubigen Anlagen in den abgelegensten Orten in Marokko, China oder anderswo kannte ich es: Besprechungen werden in großen Sälen anberaumt. Gerne 20 und Leute mehr. Die Bilder der neuen Anlagen verblichen in Jahrzehnten, die Wege, auf denen der Raum betreten wird, sind nicht schmutzig, sondern sauberer als unter den Stühlen.

Die Hälfte schlief sofort ein, andere schmierten lustlos auf dem Papier, um die Zeit totzuschlagen. «Unser König hat viel Einfluss auf unsere Minen. Natürlich haben die meisten der Leute nicht Aufgaben, wie ihr sie kennt. Bevor sie Straßen kehren, sorgt der König dafür, dass Firmen, die er kontrolliert, viele Leute einstellen.», klärte mich unser Mann vor Ort, wie schon viele Ungläubige zuvor.

Neun Menschen saßen luftfächernd in dem Raum, eine Alternative zum Schläfchen: gelangweilte Gesichter, die mit Wein so viel zu tun hatten wie Eskimos mit Klimaanlagen. Wer nichts zu tun hatte, wurde als Komparse in den Raum geschoben: Neukunde!

Was unterscheidet Ihre Firma von Ihren Wettbewerbern im Markt? Wie erfolgreich waren Ihre Gewinnspiele auf Facebook? Sie haben doch …?

Ich sah schon den enttäuschten Blick meiner Frau.

Wenn Wein kein Instagram Trend ist

Immerhin war das viele Geld für den Blick auf den Billardtisch nicht umsonst. Es dämmerte mir: Das Wirken dieser und anderer Agenturen liegt im Einebnen von Widerständen.

Es soll einfach sein, zu verstehen, welchen Wein es hier zu kaufen gibt. Einfach sein, warum diese Weine besonders sind. Man einfach nicht auf den Gedanken kommt, woanders zu klicken. Es muss einfach klar sein, dass der weinraum usw.

Einfach sein

Hinter Bregenz in den noch nicht ganz hohen Bergen liegt der Bregenzerwald. Berühmt ist der «Wald» wegen seiner lieblichen Landschaft, dem würzigen Käse, bei Flachländern jedoch weltweit wegen seiner Architektur und dem Möbeldesign und der Erzeugung der wunderschönen Gegenstände aus dem Material der Wälder: Holz.

«Etwas Zauberhaftes, schwer zu Benennendes liegt über dem Bregenzerwald: die Eleganz des Einfachen.» So beginnt die Einleitung zu einem wundervollen Buch über das Entstehen dieser Architektur. Das Büchlein mit vielen Bildern schildert, wie diese Reduktion auf das unbedingt notwendige und funktional erforderliche zustande kommen konnte.

Widerstände

Was haben Tische und Stühle, die Bauweise moderner Häuser, die völlig reduziert eine ungleich schlichte Eleganz erzeugen, mit Wein zu tun?

Die Entstehung.

Es fahren nicht nur Architekten in den Bregenzerwald, um mit ihrer Leica das Wirken der Handwerker zu fassen. Es kommen Soziologen, Philosophen und mehr -ogen und -ophen, um das Phänomen in Worte zu fassen.

Zentral ist der Widerstand. Aus einem 3D-Drucker kann man bauen lassen, was einem einfällt. Holz war ein sehr knappes Gut, als die Tradition des Handwerks in den abgelegenen Höfen entstand.

Und sperrig.

Auf der anderen Seite standen die Nutzer, die ihren schweren Alltag bewerkstelligen mussten und dafür Dinge brauchten. Einfache Dinge, die funktionierten. Aus diesen Widerständen erwuchs ein Austausch über das Notwendige, das Mögliche.

Es gab keine Trennung zwischen dem Erzeuger und den Nutzern. Sie besprachen gemeinsam, wie die Dinge entwickelt werden konnten. Und darüber, wie sie aussehen sollten, damit die Sinne mit den Werken in Resonanz gehen.

Wein Widerstände

Es gibt auch Weine, über denen schon im Glas etwas Zauberhaftes liegt. Warum nicht auch zu solchen Winzern Menschen pilgern und über das Zustandekommen solcher Weine philosophieren, weiß ich nicht. Es werden wohl berühmte Châteaux photographiert, der biologische Ausbau erwähnt, alte Rebanlagen. Doch die Reben und ihre Beeren sind sperrig wie das Holz. Sie lassen sich formen - in dem Falle gären. Wie ein Stuhl nicht zugleich stapelbar und leicht und aus einem leicht zu verarbeitenden Holz sein kann, müssen ich sich auch Winzer in vielem entscheiden. Wie ich mich für oder gegen Winzer entscheide.

Mit ihren Sinnen: ergibt dieser Weinberg eher fruchtige Weine, die nicht lange auf der Maische liegen. Eher markante Weine, die lange reifen können? Ist das Jahr eher trocken und es könnte ein besonderes Jahr werden oder regnet es im Sommer zu viel und die Weine werden vermutlich schon kurz nach dem Abfüllen ihren schönsten Ausdruck haben.

Sie treffen in jedem Jahr neu Entscheidungen, die eine Reife von Folgen für ihre Weine haben. Manches kann man später korrigieren, vieles nicht mehr. Es bleibt ein Abwägen und es sind Widerstände, die das Werden begleiten: die Reben wollen nur wuchern und nicht gute Trauben produzieren - besonders nicht nur wenige, sondern viele.

Wählt man den Weg einer hohen Säure im Wein, führt es meist zu einem Verlust an Aromen - welches ist eine sinnvolle Grenze? Wann ist der Most in der Maische dunkel genug, aber noch nicht so viel Gerbstoff im Wein, dass dem Wein später die Balance fehlt?

Wie finde ich Winzer, die mit ihren Sinnen und den Widerständen

Der Weg über eine Berliner Agentur, den Käse und die Möbel des Bregenzerwaldes zeigen: es ist mein Weg, die Weine zu finden und im weinraum anzubieten. Es ist nicht der Weg, nicht besser oder schlauer als andere es handhaben.

Nicht viele beschäftigen sich mit Wein oder Lebensmitteln, der Wein muss zur Pizza passen und fertig. Und das ist gut so. Andere «brauchen» die großen Namen, können oder wollen es sich leisten und auch das ist gut so.

Ich suche und verkaufe Weine mit einem handwerklichen, natürlichen Charakter, der aus einer Auseinandersetzung mit den natürlichen Gegebenheiten entspringt. Viele meiner Gäste im weinraum erkennen darin etwas Zauberhaftes, das da aus dem Glas aufsteigt.

Manche überfordert es. Zu dicht, zu intensiv, zu viel dies, zu wenig das. Es sind die Widerstände der Reben und Beeren, die das Eine oder das Andere entstehen lassen. Das können Winzer kaschieren. Oder sie lassen es.

Die, die es lassen, sind hier im weinraum zu finden.

Natürlich bin ich mit keinem meiner Winzer oder Winzerinnen in die Schule gegangen, ich kenne sie persönlich, bin und bleibe aber Kunde bei ihnen. Auch wenn ich regelmäßig vorbeischaue, stehe ich doch selten an einem regnerischen Tag mit ihnen im Weinberg, wie es mit Laurent Brusset passierte, als der Mai und Juni total verregnet waren. Der Mehltau hatte seinen Reben zugesetzt und fast mit Tränen in den Augen betrachtete er die leidenden Blätter.

Natürlich konnte er spritzen wie viele Kollegen. Aber dann würde er im Herbst seinen Wein nicht mehr spontan ausbauen können. Der Charakter der Weine wäre ein anderer - aber es wäre zumindest Wein da. Das Wetter verlangte viel von ihm in diesem Moment.

Einige Tage später zog der Mistral auf, trocknete die Reben und die Sonne.

Die Geschichte ist schön, die entscheidende Frage jedoch: wie Winzer finden, die mit solchen Zweifeln ihrer Arbeit nachgehen, mit den Widerständen leben und sie nicht wegbügeln oder schönreden?

Zuhören.

Die Worthülsen sind alle gleich; auch bei Aldi steht kaum ein Wein, der nicht aus einer Manufaktur stammt. Eine Mischung aus dem Klang der Worte, der Sprache der Bilder - und ihrer Qualität - und einem erkennbaren Zusammenhang der Details ergibt für mich ein Bild der Winzer.

Und ich habe mich in den vielen Jahren nur selten getäuscht.

Was nicht bedeutet, dass alle Weine beliebt bei meinen Kunden im weinraum geworden sind. Selten hat jemand gesagt, Weine seien schlecht, aber doch trifft der besondere Charakter machmal nicht die Vorstellungen von genügend Besuchern im weinraum. Dafür bei anderen Weinen umso mehr.

Auch das sind Widerstände, die erst etwas Besonderes entstehen lassen.

«Gut, dass du wieder gegangen bist.» Meine Frau wischte bestimmt über den Ahorn des Tisches und das Thema Agentur, um Wein zu verkaufen, war fertig für sie.