Die Appellationen. Ihr Sinn und ihre Entleerung

Das AOP / IGP System erzeugt keine regionale Identität, sondern bereinigt den Markt. Industrielle Produzenten profitieren von ihrer Infrastruktur und können ihre Produkte international besser vermarkten.

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Die Appellationen. Ihr Sinn und ihre Entleerung

Wozu Appellationen?

Appellationen sind gesetzlich definierte geografische Herkunftsbezeichnungen, die die Qualität und Authentizität von Weinen und einigen anderen landwirtschaftlichen Produkten sicherstellen.

Sie regeln bei Wein, welche Rebsorten, Anbaumethoden und Produktionsverfahren in einem bestimmten Gebiet verwendet werden dürfen, um einen Wein als typisch für diese Region zu kennzeichnen.

Viele gute Verbote 

Sie schreiben weiter etwa zulässige Erträge pro Fläche vor, die nicht überschritten werden dürfen. Und was in einer Appellation gestattet ist, oder eben nicht:

  • dem Most Zucker zusetzen, wenn der zu erwartende Alkoholgehalt zu niedrig sein wird
  • dem Wein Säure zusetzen, wenn das Jahr zu heiß war (Chaptalisieren)
  • die Weinberge in trockenen Jahren bewässern.

In Frankreich ist meist alles verboten, um dem Wein mehr Originalität zu geben.

Die Zusammensetzung der Weine

Zu den kaum nachvollziehbaren Regeln gehören die vorgeschriebenen Mindest- und Höchstanteile von Rebsorten einer Cuvée, die eine Zulassung nach AOC (neuer AOP, dazu unten mehr) Regeln anstrebt.

Die Motivation ist, einen typischen Geschmack einer Region mit dem AOC Siegel zu verbinden. In der Praxis führt es dazu, dass hervorragende Weine, die eine Rebsorte nicht verwenden oder zu viel davon oder etwa reinsortige Weine einer renommierten Appellation als einfacher Landwein deklariert werden müssen.

Handwerkliche Winzer und Supermarkt

Da überwiegend die ambitionierten Winzer solche Wege gehen, haben viele ebenfalls ambitionierte Weinfreunde - also die Kunden und eigentlichen Nutznießer der Appellationen - den Glauben an den Wert derartiger Siegel verloren.

Anders sieht es aus, wenn man im Supermarkt vor meterweise Wein steht, den man nicht kennt. Hier kann einen der Griff zu einem AOC Wein vor dem größten Murks bewahren. Ob es ein gelungener Wein, darf eher bezweifelt werden; es gibt aber auch recht erfreuliche Überraschungen.

Die Ursprünge der Appellationen

Die Idee, den Ursprung und die Qualität von Wein gesetzlich zu schützen, geht bis ins 18. Jahrhundert zurück. Erste Ansätze für geografische Bezeichnungen fanden sich in Frankreich, als im Jahr 1725 die Region «Roquefort» ihre Käsespezialität schützen ließ. Auf Wein übertragen wurde dieses Prinzip im Jahr 1855, als das «Bordeaux-Klassifikationssystem» eingeführt wurde, das die besten Weingüter und deren Lagen bewertete.

Die Geburt des modernen Appellationssystems

Das heutige Appellationssystem wurde in Frankreich etabliert. 1935 wurde die «Appellation d’Origine Contrôlée (AOC)» gegründet, eine Initiative des französischen Landwirtschaftsministeriums, um die Qualität von landwirtschaftlichen Produkten, insbesondere Wein, zu regulieren und zu schützen. Die AOC legte fest, welche Kriterien ein Wein erfüllen muss, um eine bestimmte Herkunftsbezeichnung tragen zu dürfen. Sie regelt bis heute:

  • Die geografische Herkunft
  • Erlaubte Rebsorten
  • Maximale Erträge pro Hektar
  • Anbaumethoden
  • Bestimmte Schritte der Arbeit im Weinkeller

Appellationen außerhalb Frankreichs

Der Erfolg des AOC-Systems inspirierte viele andere Länder, ähnliche Schutzsysteme für ihre Weine einzuführen. In Italien wurde 1963 die «Denominazione di Origine Controllata (DOC)» geschaffen, gefolgt von der «DOCG» (Denominazione di Origine Controllata e Garantita), die striktere Anforderungen stellte. Spanien führte 1970 die «Denominación de Origen (DO)» ein, ergänzt durch die höhere Stufe der «Denominación de Origen Calificada (DOCa)».

Warum wurden Appellationen ins Leben gerufen?

Die Entstehung von Appellationen war eine Reaktion auf Herausforderungen wie:

  • Schutz vor Betrug: Im 19. Jahrhundert wurden Weine oft gefälscht oder mit minderwertigen Produkten vermischt, was das Vertrauen in die Weinqualität beeinträchtigte.
  • Förderung regionaler Identität: Appellationen betonen die Einzigartigkeit einer Region, indem sie die typischen Merkmale ihrer Weine hervorheben.
  • Erhaltung traditioneller Methoden: Durch die Vorgaben sollen traditionelle Praktiken bewahrt und geschützt werden.
  • Qualitätssicherung: Die Anforderungen an die Produktion gewährleisten, dass nur hochwertige Weine die geschützte Herkunftsbezeichnung tragen dürfen.

Moderne Bedeutung der Appellationen

Letztlich sind es die Regionen, die Konsumenten etwas sagen. Ein Wein aus Fitou, dem Bergerac oder Gigondas - das versteht man. Ob nun eine Kombination von Buchstaben mit auf dem Etikett steht, interessiert niemand, es dürfte auch kaum jemand die Statuten einer Appellation kennen.

Darf ein Wein den Namen dieser Appellation nicht tragen, fällt es Käufern ungleich schwerer, einen solchen Wein zu wählen. Nun sind viele Weine, die nicht den Statuten einer Appellation entsprechen, weitaus höherwertiger als die Ziele der Regeln der Appellation. Denn diese orientieren sich an den großen und sehr großen Erzeugern und sind an einer Überschreitung dieser Standards eben nicht interessiert.

Womit die Bedeutung des Systems Appellation für ambitionierte Winzer und Konsumenten auf einen Wert nahe Null reduziert wird.

Der endgültige Unfug: die Reform der Appellationen

Die Einführung der Appellation d’Origine Protégée (AOP) durch die Europäische Union zielte darauf ab, «Bezeichnungen der Herkunft europaweit zu harmonisieren und international zu schützen». Gemeint war eher, industriell erzeugte Waren mit einem schönen Aufkleber zu versehen. Handwerkliche Erzeuger können solche Regelwerke nicht mit einem Wisch an die Rechtsabteilung weitergeben - es bedeutet einen großen Kostenaufwand. Den Schaden davon hatten die Verbraucher: kaum jemand hat das neue System verstanden.

AOP: Ein System, das den Konsumenten wenig bringt

Die neuen Bezeichnungen wie AOP oder IGP bieten für die Mehrheit der Verbraucher wenig Mehrwert. Studien zeigen, dass weniger als 15 % der europäischen Konsumenten die Bedeutung der neuen Kennzeichnungen verstehen, während die meisten weiterhin auf die vertraute AOC vertrauen. In Frankreich, wo die Appellation d’Origine Contrôlée jahrzehntelang für Qualität stand, hat der Wechsel oft Verwirrung gestiftet, ohne die Kaufentscheidung wesentlich zu beeinflussen.

Für die meisten Konsumenten bleiben Faktoren wie Preis, Markenimage und persönliche Empfehlungen entscheidender. Der hohe Aufwand hinter der AOP-Reform dient daher primär der Industrie, nicht den Verbrauchern.

Ein Instrument für die industrielle Landwirtschaft

Die umfangreichen Anforderungen der neuen EU-Verordnungen – von strengen Herkunftsnachweisen bis zu detaillierten Produktionsvorgaben – sind für große Produzenten leicht zu erfüllen. Kleinere Winzer hingegen stehen vor mitunter erheblichen Hürden. 

Das System erzeugt eben keine regionale Identität, sondern bereinigt den Markt. Industrielle Produzenten profitieren von ihrer Infrastruktur und können ihre Produkte international besser vermarkten.

Der Kauf eines Weines einer Appellation

Wer einen Beaujolais kaufen möchte, hat einen Weinstil im Kopf. Rhône, Piemont oder Mosel - man erwartet einen gewissen Weinstil. Im Supermarkt stehen die Weine unter diesen Bezeichnungen der Regionen. Alles gut, nur die Weine sind größtenteils «gut trinkbar». Oder larifari.

Im Fachhandel wird man auch Weine aus diesen Regionen und ihren Appellationen finden, die den Namen der Appellation nicht auf dem Etikett tragen. Solche Weine sind nicht per se besser. Die Chance jedoch, hier einen besonderen Wein zu finden, ist weitaus größer als im Supermarkt mit der Appellation auf dem Etikett.

Bringt also das System der Appellation etwas?

Für Leute, die gelegentlich einen Wein kaufen, ja. Für Leute, die genauer wissen möchten, was sie kaufen: nein.

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