Wie Aromen im Wein entstehen
Wer in ein Konzert geht, wird sich selten mit Musiktheorie befassen. Hobbyköche nicht mit Mikrobiologie. Die Bildung der Aromen im einen Wein verstehen zu wollen, ist keine Bedingung für die Freude am Wein.
Es ist eher wie in einer klaren Nacht die Sterne zu betrachten und zu sinnieren, wie wohl das Große mit dem Kleinen verbunden sein möge.
Norisoprenoide sind gewissermaßen ein Stern im Himmel für jemanden mit einem Weinglas in der Hand, das ihm oder ihr Freude bereitet und die Frage keimt: warum?
Entstehung von Norisoprenoiden
Norisoprenoide sind flüchtige Aromaverbindungen, die aus Carotinoiden entstehen.
Carotinoide erfüllen eine doppelte Funktion in der Pflanze: Sie wirken als Begleitpigmente des Chlorophylls während der Photosynthese und schützen vor intensiver Lichteinstrahlung.
Im Vergleich zu anderen Früchten enthalten Traubenbeeren nur geringe Mengen an Carotinoiden, die je nach Sorte zum Erntezeitpunkt variieren. Carotinoide sind wenig stabil und werden durch Einflüsse wie Sauerstoff, Licht und Temperatur in aromatische Verbindungen umgewandelt.
Während der Reifephase der Beeren, insbesondere nach dem Weichwerden, nimmt der Carotinoidgehalt deutlich ab, was mit der Entstehung von Norisoprenoiden in Zusammenhang steht. Der überwiegende Teil der Carotinoide befindet sich in der Beerenhaut.
Die Vorstufe der Norisoprenoide im Weinberg
Den Gehalt an Carotinoiden können Winzer im Weinberg beeinflussen. Licht und Temperatur spielen dabei eine große Rolle. Zu viel Sonne und hohe Temperaturen können die Carotinoide abbauen, was das Aroma der späteren Weine weniger fruchtig macht. Eine zu rigorose Laubarbeit in heißen Sommern kann diesen Effekt verstärken.
Das Aroma der Norisoprenoide
Norisoprenoide verleihen Weinen Noten von getrockneten Früchten, Honig, Blumen oder Tabak. Während der Traubenreife werden Carotinoide durch enzymatische Prozesse abgebaut, wobei verschiedene Vorstufen wie 3-Hydroxy-β-damascenon oder 3-Oxo-α-ionol gebildet werden. Diese Vorstufen bleiben in der Traube zunächst in gebundener Form erhalten und werden während der Gärung oder Reifung enzymatisch oder chemisch freigesetzt.
Norisoprenoide: Aromastoffe im Wein
Die Bildung der Norisoprenoide im Weinkeller
Die Norisoprenoide entstehen am Ende der Gärung durch die Wirkung der Hefe. Enzyme wie β-Glucosidasen und Esterasen spalten die an Zuckerreste gebundenen Norisoprenoide, sodass sie als freie Aromastoffe im Wein wahrnehmbar werden.

Handwerklich arbeitende Winzer, die spontan vergären, nutzen ausschließlich die natürliche Hefe aus dem Weinberg. Diese Methode bietet keine Steuerungsmöglichkeiten, sondern basiert auf dem, was der Weinberg liefert.
Reinzuchthefen
Reinzuchthefen können gezielt so ausgewählt werden, dass sie eine höhere Aktivität spezifischer Enzyme besitzen, was zu einer verstärkten Freisetzung von Norisoprenoiden führt. Einige Stämme von Saccharomyces cerevisiae setzen mehr β-Damascenon frei, was zu Noten von Pflaume oder Honig führen kann. Positiv ist: Die präzise Steuerung der Gärung reduziert unerwünschte Nebenprodukte, die das Empfinden des Weines stören und zu Kopfschmerzen führen können.
Spontangärung
Bei der Spontangärung kommen verschiedene wilde Hefen wie Hanseniaspora, Pichia oder Brettanomyces zum Einsatz, die jeweils eigene enzymatische Aktivitäten aufweisen. Diese Vielfalt kann zu einer komplexeren Aromenausprägung führen, da verschiedene Hefen unterschiedlich mit den Vorstufen interagieren. Die längere und weniger vorhersehbare Gärung kann auch oxidative oder reduktive Effekte mit sich bringen, die die Aromen weiter beeinflussen.
Einfluss der Arbeit im Weinberg
Die Menge und Zusammensetzung der Norisoprenoide im fertigen Wein hängt bereits im Weinberg von verschiedenen Faktoren ab, die den Gehalt an Carotinoiden in den Trauben bestimmen:
Exposition und Laubwandmanagement
Carotinoide sind lichtempfindlich. Moderate Sonnenexposition kann die Bildung von Carotinoiden fördern, während übermäßige Sonneneinstrahlung zu deren Abbau durch Photoxidation führt.
Reifegrad der Trauben
Während der Reifung nehmen die Carotinoidgehalte zunächst zu, bevor sie bei Überreife wieder abgebaut werden. Ein optimal gewählter Lesezeitpunkt kann also die Vorstufen für Norisoprenoide maximieren.
Wasserversorgung
Trockenstress kann die Synthese von Carotinoiden beeinflussen und somit auch die spätere Aromatik des Weins verändern.
Bodeneigenschaften und Stickstoffversorgung
Ein ausgewogenes Nährstoffverhältnis, insbesondere eine moderate Stickstoffversorgung, fördert die Bildung von Carotinoiden und beeinflusst damit die spätere Norisoprenoid-Ausprägung.
Wie Winzer diesen Prozess gezielt steuern können
Im Weinberg
- Bewusstes Laubwandmanagement zur Steuerung der Sonneneinstrahlung.
- Anpassung des Erntezeitpunkts, um das gewünschte Carotinoid-Profil zu erhalten.
- Regulierung der Wasserversorgung, um oxidative Prozesse in den Beeren zu minimieren.
- Bodennährstoffmanagement zur Förderung der gewünschten Vorläuferstoffe.
Während der Gärung
- Wahl der Hefen (Reinzuchthefen oder Spontangärung) in Abhängigkeit von der gewünschten Aromenausprägung.
- Temperaturkontrolle der Gärung: Kühlere Temperaturen erhalten oft fruchtigere Noten, während wärmere Gärungen die Bildung oxidierterer Norisoprenoide wie Ionone fördern können.
- Enzymbehandlung zur Freisetzung der Norisoprenoide aus ihren Vorstufen.
Nach der Gärung
- Der Ausbau auf der Hefe kann die Aromatik weiterentwickeln, da Autolyse-Prozesse Enzyme freisetzen, die Norisoprenoide weiter umwandeln.
- Die Wahl des Ausbaustils (z. B. reduktiver Ausbau im Edelstahl vs. oxidativer Ausbau im Holzfass) kann die Wahrnehmung und Zusammensetzung der Norisoprenoide beeinflussen.

Obwohl Norisoprenoide eine nachweisbare Rolle in der sensorischen Ausprägung von Weinen spielen, ist ihr Einfluss vielen Winzern in der Praxis kaum bewusst.
Wissen Winzer um die Rolle der Norisoprenoide?
In der modernen Winzerausbildung stehen allgemeine Terpen- und Esterbildung sowie der Einfluss der Gärführung auf das Aroma durchaus im Lehrplan, aber Norisoprenoide werden meist nur am Rande behandelt.
Das Wissen über die enzymatische Freisetzung dieser Aromen und ihre Beeinflussung durch Reinzuchthefen oder Spontangärung ist eher in der Forschungswelt verbreitet, insbesondere bei Önologen mit akademischem Hintergrund oder in Labors, die sich mit Hefezucht und Gärungstechnologie beschäftigen.
Die Weinindustrie
Die Weinindustrie nutzt diese Erkenntnisse primär für die Entwicklung neuer Reinzuchthefen mit spezifischen enzymatischen Eigenschaften, die gezielt auf die Freisetzung von Norisoprenoiden hin optimiert sind. Die Trauben stammen oft aus verschiedenen Weinbergen und werden zu einem Wein verarbeitet - für einen Wein im Supermarkt werden enorme Mengen Trauben benötigt.
Auch sind die Winzer, die diese Trauben erzeugen, mit der Weinproduktion nicht verbunden. Sie liefern die Trauben ab und fertig.
Werden solche Mengen Trauben verarbeitet, ist es durchaus sinnvoll, die exakte Zusammensetzung dieses Jahrgangs zu untersuchen und alle technischen Möglichkeiten auszuloten, daraus den gleichen Wein zu erzeugen, wie im letzten Jahr. Dazu gehört die zielgenaue Auswahl der Zuchthefen, die sehr exakt auf den aktuellen Most im Tank und den Wünschen der Einkäufer der Handelsketten abgestimmt werden können.
Mit einem solchen Wein in der Hand wird man sich unter dem Sternenhimmel noch eine Jacke holen, aber nicht über den Wein nachdenken.
Handwerkliche Winzer
In der handwerklichen Weinproduktion fragt sich kein Winzer, ob die Norisoprenoide wohl gut werden in diesem Jahr.
Gerade handwerkliche Winzer, die ihren eigenen Wein erzeugen, wissen hingegen sehr genau, wie der Lesezeitpunkt oder Gärtechniken die Aromen beeinflussen. Für sie sind die Laubarbeit, die Reduktion der Erträge durch Herausschneiden der Trauben, die schnelle Reaktion bei Befall durch Krankheiten und besonders der Zeitpunkt der Lese entscheidend.
Erst in den letzten Jahren rücken diese Erkenntnisse stärker ins Bewusstsein von Winzern, insbesondere bei Betrieben, die mit natürlichen Gärungen arbeiten oder bewusst auf spontane Hefeflora setzen.
Hier ist das Interesse groß, die komplexe Wechselwirkung zwischen Weinberg, Gärung und Ausbau immer besser zu verstehen – nicht über Laboranalysen, sondern über die Verkostung und sensorische Beobachtung ihrer Weine über mehrere Jahrgänge hinweg.
Es sind keine sensorischen Eruptionen, die dabei entstehen oder gewollt sind. Es sind die feinen Unterschiede, die einen solchen Wein harmonischer, ausdrucksvoller und stimmig erscheinen lassen. Alles wegen der Norisoprenoide. Hätte mir das mal jemand früher gesagt.