Wie groß war der maurische Einfluss im Roussillon?
Der Einfluss islamisch geprägter Kulturen auf den Weinbau im Roussillon war nicht sehr groß und von Pragmatismus geprägt. Während der eigentliche Konsum von Wein unter islamischem Recht als verboten galt, war der Anbau von Weinreben nicht grundsätzlich untersagt – vor allem nicht, wenn er wirtschaftlich relevant blieb.

Die Araber und ihre Soldaten aus den Berber - Völkern drangen von Süden nach Frankreich vor und waren im Roussillon etwa zwei Jahrhunderte deutlich stärker präsent, als im nördlicheren Languedoc. In Narbonne etwa waren sie nur wenige Jahrzehnte in einer beherrschenden Position. Ausserhalb dieses Zeitfensters drangen sie immer wieder einmal vor und wurden wieder vertrieben. Obwohl praktisch dauerhaft Kriegszustand herrschte, war das Miteinander pragmatisch.
Besonders im Raum zwischen Narbonne, Béziers und Agde, wo der maurische Einfluss in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts wirksam war, lassen sich Rückschlüsse auf pragmatische Strategien der Bewahrung bestehender Strukturen ziehen.
Kontinuität durch wirtschaftlichen Pragmatismus
Auch unter muslimischer Herrschaft wurde Wein weiterhin angebaut – teils offen, teils geduldet:
- für die nicht-muslimische Bevölkerung (vor allem Christen und Juden)
- zur Herstellung von Traubensaft, Essig oder getrockneten Rosinen
- zum heimlichen Konsum in islamisch regierten Städten, wie es für Al-Andalus belegt ist [1]
Im östlichen Languedoc und dem angrenzenden Roussillon wurden vorhandene Rebflächen nicht zerstört, sondern offenbar weiter genutzt. Techniken wie Rebschnitt oder Ertragssteuerung könnten übernommen oder an neue klimatische Bedingungen angepasst worden sein. Es ist auch denkbar, dass durch maurisch geprägte Handelskontakte Verarbeitungsmethoden wie eingekochter Most oder Sirup eingeführt wurden.
Fehlende Kellereistrukturen unter islamischer Kontrolle
Die Vinifikation im Sinne christlicher Klosterwirtschaft – Ausbau in Holz, Hefesatzlagerung, komplexe Gärregimes – wurde im islamisch geprägten Kontext nicht entwickelt. In der Phase islamischer Präsenz zwischen 719 und 759 waren religiöse und politische Ziele vorrangig, nicht die Weiterentwicklung von Weintechnologie. Der Weinbau blieb pragmatisch erhalten, entwickelte sich aber erst mit der christlichen Rückeroberung strukturell weiter.
Sorten, Techniken, Verarbeitung im Roussillon
Auch wenn keine direkte Spur islamischer Vinifikationspraxis erhalten ist, könnten über den Umweg Al-Andalus und den Maghreb dennoch Einflüsse in der Sortenwahl, der Wasserführung im Weinberg und der Verwendung von getrocknetem Weinmost oder Fruchtsirup eingewandert sein.
Die in Südfrankreich verbreitete Technik der Traubentrocknung und des Einkochens von Most zu süßen Saucen dürfte auf solche Einflüsse zurückgehen.
Quellenlage und widersprüchliche Überlieferung
In der älteren Literatur wird häufig behauptet, der Weinbau sei unter muslimischer Herrschaft vollständig verschwunden. Diese Darstellung lässt sich in dieser Pauschalität nicht belegen. Viele dieser Aussagen beruhen auf christlichen Chroniken, etwa den Annales Regni Francorum, die muslimische Herrschaft bewusst als Unterbrechung christlicher Ordnung beschreiben. Es gibt jedoch keine islamischen Steuerdokumente oder Verwaltungstexte, die die Zerstörung des Weinbaus im Roussillon belegen würden.
Neuere archäologische Untersuchungen belegen vielmehr eine kontinuierliche Nutzung landwirtschaftlicher Infrastruktur – inklusive Rebflächen – in Regionen wie Maguelone, Béziers oder Pézenas auch während der islamischen Phase. [3]
Die Behauptung eines «Verschwindens des Weinbaus» beruht daher eher auf historiografischer Projektion denn auf gesicherten Quellen.
Weinbau unter muslimischer Präsenz in Südfrankreich
Die muslimische Präsenz im Roussillon und im östlichen Languedoc war in manchen Regionen wie Narbonne und Béziers auf wenige Jahrzehnte begrenzt (ca. 719–759), während sie in angrenzenden Gebieten Kataloniens und des westlichen Mittelmeers über mehrere Jahrhunderte bestand. Das führte zu einer pragmatischen Haltung gegenüber bestehenden wirtschaftlichen Strukturen. Solange Steuern eingezogen und Märkte stabil gehalten werden konnten, wurden selbst islamische Verbote flexibel interpretiert – eine Haltung, die sich auch im Umgang mit dem Weinbau zeigt. [2]
Keine muslimische Herrschaft im Roussillon und Languedoc
Im Roussillon selbst wurde keine dauerhafte islamische Herrschaft etabliert, wie sie etwa in Al-Andalus existierte. Der Begriff Al-Andalus bezeichnet jene Teile der Iberischen Halbinsel, die ab 711 unter muslimische Kontrolle gerieten und in denen sich über Jahrhunderte eine eigenständige westislamische Kultur entwickelte – geprägt durch arabisch-berberische Eliten, jüdische und christliche Minderheiten, eine hoch entwickelte Landwirtschaft und weitreichende Handelsbeziehungen.
Steter Austausch der muslimischen und christlichen Kulturen
Während Al-Andalus Zentren wie Córdoba, Sevilla oder Granada hervorbrachte, blieb das nördliche Grenzgebiet – zu dem auch das Roussillon zählte – ein Raum ständiger Wechselwirkungen: keine stabile islamische Verwaltung, aber kontinuierlicher Kontakt durch Überfälle, Handel, Migration und kulturellen Austausch.
Die muslimische Präsenz war hier punktuell, strategisch motiviert und von hoher symbolischer Bedeutung, etwa durch die zeitweise Kontrolle von Narbonne. In Perpignan, Le Boulou oder Elne kam es zwar zu wiederholten militärischen Vorstößen, nicht aber zu dauerhafter Herrschaftsausübung wie in Andalusien.
Der Weinbau im Roussillon unter den Mauren
- Die islamische Präsenz im Roussillon war strategisch bedeutsam, auch wenn sie zeitlich begrenzt blieb.
- Der Weinbau wurde nicht gefördert, aber wirtschaftlich weitergeführt – insbesondere für nicht-muslimische Bevölkerungsteile.
- Technische Innovationen wurden erst mit der klösterlich geprägten Rückeroberung im 9. Jahrhundert entwickelt.
- Kulturelle Spuren blieben v. a. in der Küche sichtbar, im Weinbau indirekt durch Verarbeitungsformen und pragmatische Toleranz.
- Aussagen über einen vollständigen Rückzug des Weinbaus unter muslimischer Herrschaft sind nicht belegt und oft Ergebnis älterer christlich geprägter Darstellungen.
Quellen
- Hugh Kennedy: The Great Arab Conquests: How the Spread of Islam Changed the World We Live In, London 2007.
- Amira K. Bennison: The Almoravid and Almohad Empires, Edinburgh University Press, 2016.
- Christophe Picard: La mer et les musulmans d’Occident au Moyen Âge, Paris: PUF, 1997.
- Pierre Bonnassie: La Catalogne du milieu du Xe à la fin du XIe siècle, Toulouse, 1975.