Alte Eselpfade und andere Eseleien
In den meisten Dörfern der Abruzzen stehen die alten Häuser noch – mit dicken Bruchsteinwänden, kleinen Fenstern und wenn überhaupt sparsam verputzten Fassaden. Viele sind verfallen oder nur teilweise bewohnbar.
Immer abseits, gerne erhöht, erheben sich selten schöne, vorwiegend geschmacklos protzige, comicartige Tempel derer, die es geschafft haben: Gelder abzugreifen, die für die ländliche Entwicklung gedacht waren oder gleich dem Lohn der Bauern.
Adel und Kirche haben sich überall im Wortsinne fürstlich an den Reichtümern ihrer Ländereien bedient, vornehmlich aber auch einen Mehrwert geschaffen, der auch der bäuerlichen Bevölkerung zugutekam. Mehr oder weniger, in den Abruzzen jedoch nie und in keinem Ausmaß. Die Region ist über Jahrhunderte das Armenhaus Italiens geblieben.
Die neuere Geschichte hat einiges mit dem Weinbau der Abruzzen zu tun, nach den beiden Weltkriegen sollte er den Neuen Schwung in die Abruzzen bringen. Doch es blieb wieder beim Schwung in die Kassen der Kleptokratie.
Der Weinbau in den Abruzzen
Der Anbau von Reben in den Abruzzen reicht bis in die Eisenzeit zurück. Ob die Rebe durch italische Völker wie die Vestiner eingeführt wurde oder von griechischen Siedlern, bleibt offen. Sicher ist, dass die Römer den Weinbau systematisierten. Im Mittelalter war der Wein dann hauptsächlich ein alltägliches Produkt – besonders Weißwein in den Abruzzen, da er als hygienisch unbedenkliche Flüssigkeit im Alltag verwendet wurde.
Esel als treue Begleiter
In den steilen Lagen, wo Maschinen kaum einsetzbar waren, kamen Esel und Maultiere zum Einsatz. Diese Tiere waren trittsicher, genügsam und vielseitig. Sie lebten lange mit ihren Besitzern auf den Wegen zwischen den Weinbergen, weil ihr Fleisch selbst für arme Bauern schnell zu trocken war. So waren die Tiere oft die jahrelangen Begleiter auf den steilen und abgelegenen Pfaden zwischen den Weinbergen.
Die neue Ausbeutung nach dem großen Krieg: Genossenschaften
Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand der Gedanke, durch Zusammenschlüsse von Bauern den Weinbau in den Abruzzen selbst organisiert betreiben zu lassen und wirtschaftlich tragfähig zu machen. Gemeinschaftlicher Ausbau, gemeinsame Vermarktung, bessere Verhandlungsposition. Wie eine Katze auf das Rascheln einer Maus reagiert, waren sie sofort zur Stelle: die Kriminellen aus Mafia und Politik, die die Posten der Genossenschaften besetzten und aus dem Vollen schöpfen konnten.

Die Winzer wurden mit Hungerlöhnen abgespeist, die Weine billiger verkauft als einfachste Fassware. Das Geld kam in die Kassen weniger Genossenschaften, die sich weitaus besser plündern ließen, als hunderte Bauern, die womöglich mit gutem Wein ihr Auskommen hatten.
Wie immer gehören immer zwei zu einem Spiel: statt Revolution wurden die Ragazzi in den dicken Autos bewundert.
Die nächste Runde: Großkellereien
Als viele Genossenschaften ab den 1960er-Jahren durch Großkellereien ergänzt oder abgelöst wurden, änderte sich nichts an der Struktur des Weinbaus in den Abruzzen. Erträge in wenigen, gut kontrollierbaren wirtschaftlichen Einheiten, die auf Hungerlöhnen und niedrigen Preisen beruhten. Den Winzern muss es wohl recht gewesen sein: sie bekamen wenig, aber verlässlich. Warum mühsam den Weinberg bearbeiten wie in anderen Regionen, wenn es auch so geht? Der Weinbau in den Abruzzen kam auch in der Zeit des allgemeinen Aufbruchs in Europa in den 70, 80er Jahren keinen Schritt voran.
Die Rebsorten und ein verspäteter Neubeginn
Ab den 1990er-Jahren begannen endlich einzelne Familien, sich aus den alten Strukturen zu befreien. Sie pachteten oder kauften kleine Parzellen, verzichteten auf den Verkauf an Genossenschaften oder Kellereien und begannen, selbstständig Wein auszubauen. Häufig ohne weinbauliche Familientradition und ohne technisches Netzwerk.
Im Gegensatz zu Norditalien oder Frankreich, wo sich Winzer seit Jahrhunderten austauschten, agierten die Winzer in den Abruzzen isoliert; es waren Weinbauern ohne Ambition.
Besonders zwei Weißwein - Rebsorten wurden in den 90er Jahren gepflanzt: der Pecorino, eine Rebe mit dichter Struktur und mineralischem Ausdruck, die lange als ausgestorben galt; und die Passerina, eine Sorte mit frischer Säure und früher Reife. Und natürlich der rote Montepulciano.
Beide standen exemplarisch für das, was nun möglich war: eigenständiger Weißwein, handwerklich produziert, frei von Vorgaben durch Kellereien oder politische Programme. Auch der Montepulciano, als wichtigste Rotweinsorte der Region, wurde in diesem Zuge differenzierter ausgebaut – mit geringeren Erträgen, längerer Reifezeit und größerem Bewusstsein für die Eigenheiten der Böden.
Weißwein in den Abruzzen und das Klima
Die geologischen und klimatischen Bedingungen in den Abruzzen sind ideal für Weißwein. Die Hügellagen profitieren von starkem Tages-Nacht-Gefälle, kalkreichen Böden mit guter Durchlässigkeit, frischen Fallwinden aus dem Gebirge und der Nähe zur Adria. Diese Konstellation ermöglicht Weine mit feiner Säure, Struktur und oft saliner Note – besonders bei Sorten wie Pecorino und Passerina lässt sich das Potenzial dieser Bedingungen gut erkennen.
Aufbruch aus der Vergangenheit
Der heutige Weißwein aus den Abruzzen ist nicht das Ergebnis einer gewachsenen Tradition, sondern Ausdruck eines Neuanfangs. Die geologischen Voraussetzungen waren immer vorhanden, doch die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen verhinderten über Jahrhunderte eine Entwicklung.
Mit einer neuen Generation von Winzern zeigt sich endlich auch in den Weinen, welches Potenzial die Region hat. Und dieses Potenzial gehört nicht mehr wenigen – sondern jenen, die im Weinberg stehen.