Weinaromen: wie duftet ein Wein?
Weinaromen entstehen nicht zufällig – sie sind das Ergebnis chemischer Prozesse, die im Weinberg, bei der Gärung und während der Reifung ablaufen. Von fruchtigen Estern über florale Terpene bis zu schwefelhaltigen Thiolen: Jede Aromagruppe bringt ihren eigenen Charakter mit.
Weinaromen genießen
Dieser Artikel konzentriert sich auf die Herkunft von Aromen im Weinberg und ihre Umwandlung bei der Gärung. Eine Beschreibung der Weinaromen für Leute, die eher wissen möchten, wie ihr Wein duftet, gibt es auch.Sie möchten lieber wissen, wie diese Aromen und ihre Vorläufer im Weinberg und bei der Gärung entstehen? Auch das ist spannend: was Winzer tun (können), um die Aromen in ihrem Wein zu beeinflussen.
Warum schmecken Wein und Essen so unterschiedlich – und doch harmonisch? Dieser Beitrag erklärt die chemischen Grundlagen von Aromen, ihren Weg durch Mund und Nase und die physiologische Wirkung beim Genuss. Mit detaillierter Übersicht über die wichtigsten Stoffklassen von Aromen wie Ester, Thiole, Norisoprenoide und mehr.
Das Wichtigste zu Aromen im Wein
- Aromen = flüchtige Moleküle – sie entstehen z. B. durch Gärung, Reife, Ausbau oder schon in den Beeren
- Typische Gruppen: Ester (fruchtig), Terpene (blumig), Thiole (exotisch), Pyrazine (grün), Norisoprenoide (reif)
- Wahrnehmung über die Nase: als Duft aus dem Glas oder vom Gaumen steigen Aromen zur Nase auf.
Was sind Weinaromen und wie nimmt man sie auf?
Duft ist Aroma. Aroma ist Duft.
Aromen sind flüchtige chemische Verbindungen, die über das Riechsystem wahrgenommen werden – entweder direkt über die Nase (orthonasale Wahrnehmung) oder indirekt über den Rachenraum beim Kauen und Schlucken (retronasale Wahrnehmung). Der Begriff «Aroma» umfasst in der Chemie ausschließlich diese flüchtigen Substanzen, nicht aber Geschmacksstoffe wie Zucker oder Salz. Besonders in Wein und zubereiteten Speisen wirken oft hunderte solcher Moleküle zusammen und ergeben ein komplexes sensorisches Bild.
Welche Stoffe sind es, die als Aromen wahrgenommen werden?
Ester
Ester entstehen durch Reaktionen von Alkoholen mit organischen Säuren – insbesondere während der alkoholischen Gärung. Sie liefern meist fruchtige oder blumige Aromen und tragen zur Komplexität des Weinaromas bei.
- Isoamylacetat – Banane, Apfel, Quitte («bananenartig»)
- Ethylbutanoat – Erdbeere, Mango («tropisch-fruchtig»)
- Ethylhexanoat – Apfel, Papaya («säuerlich-fruchtig, an Apfel erinnernd»)
Höhere Alkohole
Neben Ethanol entstehen bei der Gärung höhere Alkohole, die fruchtig oder lösungsmittelartig wirken können. Viele kommen auch in Kräutern oder grünem Gemüse vor. Diese Verbindungen entstehen ebenfalls während der Gärung und tragen zu den fruchtigen und blumigen Aromen bei. Höhere Alkohole wie 1-Hexanol (grünes, grasiges Aroma) und Phenylethanol (rosiges, blumiges Aroma) sind wichtige Bestandteile des Weinaromas.
- 1-Hexanol – Paprika, Spargel, Minze («grün, grasig»)
- Phenylethanol – Rosen, Basilikum, Litschi («floral, rosig»)
Terpene - blumige Aromen
Terpene stammen aus Pflanzen und ätherischen Ölen. Sie prägen blumige, würzige und zitrische Noten in Kräutern, Zitrusfrüchten und vielen aromatischen Rebsorten. Diese Verbindungen sind für die blumigen und fruchtigen Aromen in vielen Weinen verantwortlich. Sie kommen natürlicherweise in den Traubenschalen vor und sind besonders in Rebsorten wie Muskateller, Gewürztraminer und Riesling zu finden. Terpene entwickeln sich besonders gut bei kühleren Anbaubedingungen und können durch Sonneneinstrahlung weiter verstärkt werden.
- Linalool – Lavendel, Zitronenverbene, Koriander («zitrus-blumig»)
- Geraniol – Rosengeranien, Zitronenmelisse, Grapefruit («intensiv floral»)
- Myrcen – Mango, Thymian, Hopfen («harzig, würzig»)
- Limonen – Zitronenschale, Dill («frisch-zitrisch»)
Thiole
Thiole (chemisch und eher veraltet: Mercaptane) sind eine faszinierende und wichtige Klasse von chemischen Verbindungen, die eine entscheidende Rolle in der Aromenbildung von Wein spielen. Sie tragen zu einer Vielzahl von Aromen bei, die von fruchtig und exotisch bis zu schwefelig und weniger angenehm reichen können. Katzenpisse etwa ist ein typischer Geruch von Thiolverbindungen.
Sie entwickeln sich aus geruchlosen Vorläuferstoffen, die in den Trauben vorhanden sind. Diese Vorläuferstoffe werden durch die Aktivität von Hefen während der Gärung in geruchsaktive Thiole umgewandelt. Die Bildung von Thiolen ist ein komplexer Prozess, der von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird, darunter die Hefestämme, die Gärtemperatur und die Verfügbarkeit von Nährstoffen.
- 4MMP Dieses Thiol ist bekannt für sein Aroma von schwarzer Johannisbeere, Grapefruit. Es trägt maßgeblich zum charakteristischen Aroma von Sauvignon Blanc bei und verleiht dem Wein eine fruchtige und exotische Note. Das erwähnte Katzenurin ist eine Variante des wohlriechenden 4MMP.
- 3MH – Passionsfrucht, Guave, Stachelbeere («tropisch, grapefruitartig»). Es ist ein weiterer wichtiger Aromastoff in Sauvignon Blanc und anderen Weißweinen, die für ihre intensiven fruchtigen Aromen bekannt sind.
- 3MHA – Mango, Zitrusfrüchte («exotisch, fruchtig»)
- Methanthiol – Spargel, Brokkoli, Ei («schwefelig, faulig») und ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil des Aromaprofils von Sauvignon Blanc.
Norisoprenoide
Diese entstehen aus Carotinoiden (z. B. β-Carotin) und prägen reife, florale oder petrolartige Noten – insbesondere in gealterten Weißweinen oder Tees.
- β-Damascenon – Rose, Apfel, Tee, Himbeere («rosig, süßlich»)
- TDN – reifer Riesling, Schwarztee, getrocknete Aprikose («Petrol»)
Lactone
Lactone entstehen durch Holzreifung oder Fermentation. Sie entstehen durch die Reaktion von Alkoholen mit Säuren und sind für die cremigen, buttrigen Aromen verantwortlich, die man oft in gereiften Weinen findet. Lactone wie γ-Decalacton (Pfirsicharoma) und γ-Nonalacton (Kokosaroma) tragen zur Komplexität des Weinaromas bei.
- γ-Decalacton – Pfirsich, Aprikose, Butter («fruchtig-cremig»)
- γ-Nonalacton – Kokosnuss, fermentierte Milch («kokosartig, butterig»)
Pyrazine
Pyrazine kommen in rohen Pflanzen (z. B. grüner Paprika), aber auch durch Rösten (Maillard-Reaktion) vor. Diese Verbindungen sind für die grünen, vegetativen Aromen verantwortlich, die man oft in jungen, unreifen Weinen findet. Pyrazine kommen natürlicherweise in den Trauben vor und können durch die Reifung der Trauben abgebaut werden.
- 2-Methoxy-3-isobutylpyrazin – grüne Paprika, Erbsen («vegetal»)
- 2-Methylpyrazin – geröstete Nüsse, Kaffee («nussig, röstig»)
Phenole
Phenole entstehen durch die Reaktion von Lignin (einem Bestandteil des Holzes) mit Alkoholen und sind für die rauchigen, würzigen Aromen verantwortlich, die man oft in im Barriquefass gereiften Weinen findet. Phenole wie Eugenol (Nelkenaroma) und Guajakol (Raucharoma) tragen zur Komplexität des Weinaromas bei. Sie prägen rauchige, würzige oder - eher fehlerhaft - medizinische Noten im Wein.
- Eugenol – Gewürznelke, Muskat, Zimt («nelkenartig»)
- Guajakol – Rauch, Whisky, geräucherte Speisen («rauchig, medizinisch»)
- Vanillin – Vanilleschoten, Eichenholz («warm, süß»)
Wie nimmt man Aroma wahr?
Flüchtige Aromen gelangen zu den Riechzellen der Nasenhöhle – entweder durch aktives Riechen («orthonasal») oder beim Kauen («retronasal»). Die Nase erkennt Tausende von Duftmolekülen, im Gegensatz zur Zunge, die nur fünf Grundgeschmäcker registriert.
Riechen am Glas - orthonasale Wahrnehmung
Die orthonasale Wahrnehmung erfolgt durch direktes Riechen am Glas. Dabei gelangen die flüchtigen Aromastoffe direkt zu den Riechzellen in der Nasenhöhle. Diese Art der Wahrnehmung ist besonders wichtig für die Beurteilung der Intensität und Qualität der Aromen.
Freisetzung im Mund - retronasale Wahrnehmung
Die retronasale Wahrnehmung erfolgt beim Schlucken des Weins. Dabei gelangen die flüchtigen Aromastoffe über den Rachenraum zur Nase. Diese Art der Wahrnehmung ist besonders wichtig für die Beurteilung der Komplexität und Länge des Weinaromas. Die Freisetzung hängt ab von Temperatur, Kauaktivität, Speichelzusammensetzung und pH-Wert. Einige Aromastoffe entstehen enzymatisch erst beim Kauen oder Erwärmen.
Fettlöslichkeit von Aromen
Lipophile Aromen binden sich an Fett und werden dort gespeichert. In fettreichen Speisen lösen sie sich langsam und gleichmäßig – ein Grund, warum Wein und Käse oder Schinken gut miteinander funktionieren.
Matrixeffekte
Die Wirkung eines Aromas wird durch die Gesamtmatrix beeinflusst. Manche Stoffe maskieren einander, andere verstärken sich. Der gleiche Aromastoff kann in zwei Lebensmitteln völlig unterschiedlich wahrgenommen werden.
Unterschied zwischen Geschmack und Aroma
Geschmack (gustatorisch)
Die Zunge erkennt nur fünf Geschmäcker: süß, sauer, salzig, bitter, umami – jeweils durch gelöste Moleküle im Speichel. Diese Information wird direkt ins Gehirn geleitet.
Aroma (olfaktorisch)
Die Nase nimmt tausende flüchtige Moleküle wahr. Sie unterscheiden sich nach Struktur, Polarität und Löslichkeit. Die Kombination aus Geschmack und Aroma erzeugt das sensorische Gesamtbild.
Zusammenspiel von Geschmack und Aroma bei der Nahrungsaufnahme
Beim Kauen lösen sich Geschmacksmoleküle im Speichel und aktivieren Zungenrezeptoren. Gleichzeitig steigen Aromen retronasal in die Nase. Das Gehirn verarbeitet beide Reize simultan. Ohne Geruch «schmeckt» nichts – daher sind Speisen bei Schnupfen oft geschmacklos.
Exkurs: Warum der Mensch bestimmte Gerüche und Geschmäcker sucht – und andere meidet
Der Mensch ist ein Primat mit ausgeprägtem Geruchs- und Geschmackssinn. Beide Systeme dienten in der Evolution nicht dem Genuss, sondern der überlebenswichtigen Unterscheidung zwischen genießbar und gefährlich. Viele Reaktionen auf Aromen oder Geschmäcker sind tief im limbischen System verankert und kaum bewusst steuerbar.
Warnsignale: Schärfe, Bitterkeit, Fäulnis
Viele als unangenehm empfundenen Reize sind in Wahrheit Warnmechanismen. Zahlreiche Bitterstoffe stammen aus Alkaloiden und anderen pflanzlichen Abwehrstoffen, die toxisch oder verdauungshemmend wirken können. Auch stechende, schwefelige Aromen wie Methanthiol («faule Eier») oder Buttersäure («ranzige Milch») sind biologische Marker für mikrobielle Zersetzung:
- Bitterkeit – potenziell toxische Alkaloide, z. B. in unreifen Früchten oder Nachtschattengewächsen
- Schwefelige Aromen – Fäulnisindikatoren wie Methanthiol, Dimethylsulfid
- Scharfstoffe – aktivieren den Trigeminusnerv, z. B. Capsaicin oder Allicin mit Signalwirkung «Vorsicht»
Einige dieser Stoffe wirken heute als Gewürze – ihre antimikrobielle Wirkung wurde kulturell «umgedeutet» und genutzt, obwohl die ursprüngliche sensorische Abneigung biologisch tief verankert ist.
Lockstoffe: Süße, fruchtige Ester, Umami
Andere Moleküle wirken als positive Signale – sie deuten auf Energie, Nährstoffe oder Reife hin. Süße signalisiert reiche Zuckerquellen, fruchtige Ester stehen für reifes Obst, während Umami auf proteinreiche Nahrung hinweist.
- Süß – Glucose, Fructose, Honig → schneller Energielieferant
- Ester (z. B. Ethylbutanoat) – reife Früchte → essbar, kalorienreich
- Umami – Glutamat, Inosinmonophosphat → proteinreich, nahrhaft
Warum ist Umami so angenehm?
Der Umami-Geschmack weist auf die Anwesenheit von freien Aminosäuren und Ribonukleotiden hin – Bausteine von Eiweiß. Besonders intensiv wird Umami wahrgenommen, wenn Lebensmittel gekocht, fermentiert oder gereift wurden: Durch diese Prozesse werden Proteine enzymatisch aufgeschlossen, etwa in Fleischbrühe, gereiftem Käse oder fermentierter Sojasauce.
In der Evolution war dies ein Vorteil: Gekochte Nahrung ist hygienischer, leichter verdaulich und liefert mehr bioverfügbare Energie. Der Umami-Reiz belohnt also zubereitete (und damit sichere) Nahrung – im Gegensatz zu rohem Pflanzenmaterial vom Feld.